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Goldgarten

Ein Produktionsbericht von Sascha Bruhn
Goldgarten begann als Urlaubsfilm. Meine Frau und spätere Hauptdarstellerin Sylvia Mühlenbein motivierte mich, während unseres zweiwöchigen Weihnachtsbesuchs bei meinem Vater im Allgäu ein kurzes Übungsprojekt zu drehen. Das war eine Woche vor unserer Abreise und gerade Zeit genug, einige Super8-Filme und eine winzige Kamera-Ausrüstung einzupacken sowie ein grobes Handlungskonzept zu entwerfen, das den zu erwartenden zeitlichen und organisatorischen Vorraussetzungen gerecht werden konnte.
Wieder einmal hat sich mir rückblickend bestätigt, dass die brauchbarsten (weil realisierbaren) No-Budget-Film-Ideen aus dem Abwägen folgender Fragestellungen entstehen:
1. Wen oder was habe ich sicher?
In diesem Fall:
Zeit: 7 Tage Vorbereitung, 14 Tage Dreh.
Location: väterlicher Gärtnereibetrieb mit angeschlossenem Wohnhaus.
Besetzung: Meine Frau.
Technik/Produktion: Bauer Super-8 Kamera, 2x500 Watt Bauscheinwerfer.
Technik /Postproduktion: Digitale Schnittplätze zur unbegrenzten Verfügung.
2. Wen oder was habe ich wahrscheinlich?
In diesem Fall:
Location: Einfaches akquirieren diverser Neben-Drehorte aufgrund provinzieller, filminteressierter Umgebung (im Vergleich zu den Filmproduktions- gestressten Kölnern oder Münchnern)
Besetzung: Laien-Darsteller aus dem Memminger Verwandten- und Bekanntenkreis.
Stoffentwicklung:
Unter den genannten Vorraussetzungen wäre es recht müßig gewesen, sich in die übliche Drehbuchentwicklung zu stürzen. So war ja nicht einmal abzusehen, wie viele Figuren ich überhaupt besetzen konnte, von einem gezielten Casting ganz zu schweigen: Klar war nur:
Laura tritt eine Arbeitstelle an, hinter der sich eine böse alte Hexen-Großmutter und ihre Enkelin verbergen, die sie Tag für Tag ein Stückchen tiefer ins Verderben stürzen wollen.
Dreh/ Inszenierung:
Die Geschichte war also zwangsläufig linear angelegt und nichts lag näher, als einem Spieltag einen Drehtag gleichzusetzen und, je nach Gegebenheiten (Wetter, Verfügbarkeit bzw. der Darsteller, Locations und Requisiten etc.), quasi vor laufender Kamera zu erforschen, wie die Geschichte am effektivsten weitererzählt werden könnte.
In den Nächten versuchte ich mir in Sachen Konzeption und Dramaturgie mindestens jeweils einen Tag Vorsprung zu erarbeiten. Diese Vorgehensweise setzte nicht nur die gesamte Continuity- Problematik außer Kraft, sondern kam auch den Möglichkeiten der Laiendarsteller entgegen:
Sie brauchten sich nicht in einem A-chronologischen Kontext-Puzzle zu orientieren, sondern einfach nur dort weiterzumachen, wo sie Tags zuvor aufgehört hatten. Konnten sie dennoch Regieanweisungen nicht zufrieden stellend umsetzen, so war der Freiraum vorhanden, andere, ihnen näher liegende Lösungen zu verwenden, selbst wenn oder gerade weil ihre Figur und somit die Geschichte eine unerwartet neue Farbe dadurch erhielt. Während die Laien den größtmöglichen Freiraum genossen, sie selbst, ihr "interner Typ" zu bleiben (siehe zu diesem Thema auch Produktionsbericht zu "Der Klassenfeind") hatte Sylvia Mühlenbein, damals noch Schauspielschülerin, die Aufgabe, die nötigen dramaturgischen Brücken mit schauspielerischen Mitteln zu schlagen.
Exkurs: Die Arbeit mit Laien:
Nur sehr wenige Schauspieler sind meiner Meinung nach fleißig und talentiert genug, sich den Grad von Professionalität zu erarbeiten, der notwendig ist, die intellektuelle Absicht, jemand anders darzustellen, in den Hintergrund treten zu lassen. Und wiederum nur eine Handvoll von diesen ist in der Lage, auch ihrem "offiziellen Typ" entgegen gesetzte Rollen zu verkörpern.
Diese Ausnahmeschauspieler bezeichnet man dann zu Recht als "Stars", und sie für ein spontanes No-budget- Projekt zu gewinnen, ist unverhältnismäßig schwierig.
Bei Laiendarstellern handelt es sich hingegen um Menschen, deren Charakter sich, bei punktgenauer Besetzung, versteht sich, weitgehend mit dem der erdachten Figuren deckt, bzw. diesen noch sinnvoll ergänzt. Das Bewusstsein für Schauspiel als Anhäufung standardisierter Ausdruckstechniken existiert bei ihnen im günstigsten Fall gar nicht. Dies führt zu einer nicht zu überbietenden Glaubwürdigkeit. Zufriedenstellende Ergebnisse bei der Arbeit mit Laien kann man jedoch nur erzielen, wenn man von vorn herein auch die Grenzen ihrer Möglichkeiten in Betracht zieht. So ist Sprache (vorgegebener Text) oft ein unüberwindbares Hindernis, sowie komplexe technische Abläufe in langen Sequenzen, kurzum all das, was im krassen Widerspruch zu den täglichen Erfahrungen des Laiendarstellers steht. Auch sollte man nicht erwarten, dass ein Laie eine Figur verkörpern kann, die im Laufe einer Handlung eine tief greifende Persönlichkeitswandlung durchmacht.
Warum Super-8 ?:
Zunächst einmal ist es viel spannender auf Film zu drehen als auf Video.
Dies ist für mich ein sehr wichtiger Punkt, ist doch für mich der Dreh das eigentliche Abenteuer, der fertige Film hingegen bestenfalls ein liebevoll gestaltetes Poesiealbum, das einem als Erinnerung bleibt. Wie langweilig (oder extrem beruhigend) ist es da, nach belieben das Videoband zurückzuspulen und somit schon am Set genau zu wissen, was man im Kasten hat. Nicht so bei Super-8-Film:
Das Material (Kodak 40, heute bereits Geschichte) war auf Grund seiner Steilheit extrem schwierig zu belichten. Als Umkehrmaterial war es, einmal entwickelt, nicht mehr zu korrigieren.
Es ist war sehr lichtunempfindlich. Bei 2x 500 Watt Lichtausrüstung bedeutete dies meist, mit offener Blende zu drehen. Da ich keinen externen Belichtungsmesser zur Verfügung hatte, blieb mir nur, aus früheren Erfahrungen abzuleiten, welche Lichtsituationen noch zeichneten und welche nicht.
Das Kodak Labor für Super-8-Entwicklung in Lausanne/Schweiz hielt schon damals mit seinem veralteten Maschinenpark einen immer wieder aufs Neue "erquickenden" Nackenschlag für den treuen Kunden bereit: Statische Entladungen, die während des Herausziehens des Films aus der Kassette entstanden und sich als blaue Blitze /Flecken später gut sichtbar auf das in diesem Moment noch unentwickelte Material belichteten. Nach Angaben einer Mitarbeiterin entstanden diese Entladungen durch die hohe Geschwindigkeit, mit der eine Maschine das Material aus der Kassette zogen, verstärkt durch den Umstand, dass das Material im Winter durch den Postweg sehr abgekühlt angeliefert wurde, was aus physikalischen Gründen die Entstehung der Blitze noch begünstigte. Es war nicht beabsichtigt, bei diesem Problem durch " die kostspielige Umstellung des mechanischen Vorgangs" Abhilfe zu schaffen; das Super-8-Marktsegment war zu dieser Zeit schon zu unbedeutend geworden.
Das war ein nicht zu überbietender Nervenkitzel: Selbst wenn du gut gearbeitet hattest, konnte Kodak noch alles versauen. Und ? Kodak hat alles versaut!
Trotz versprochener Zwischenlagerung der immerhin 50 Kassetten zum Zweck der Aufwärmung, wurden fast alle, mal mehr, mal weniger, verblitzt. Danke Kodak.
Super-8 liefert natürlich auch einige leicht berechenbare Effekte:
Allein durch den immer noch hochgeschätzten "Filmlook", heimst man sich im digitalen Zeitalter automatisch den "Arthouse- Bonus" ein, nach dem Motto: war die Story auch Banane, der intellektuell - grobkörnige Look hat’s mal wieder rausgerissen.
Im Sturm von Korn, Dreck, Schrammen und blauen Blitzen (danke Kodak) verschwindet tatsächlich so manche dramaturgische oder technische Ungereimtheit bzw. erscheint im wunderbaren Licht des künstlerisch Beabsichtigten. Jetzt fehlte nur noch der mittlerweile für jeden Hobbyfilmer obligatorische 16:9 Kasch und man kann nun mit Leichtigkeit suggerieren, man hätte Super-16 gedreht und durch eine Vielzahl aufwendiger technischer Verfahren den beabsichtigten Super-8-Look erzielt.
Postproduktion:
Leider wartete ich vergeblich darauf, dass mir jemand einen Blow-Up auf 35mm finanziert. Also ließ ich das Material auf DV abtasten und schnitt es am PC auf Premiere.
Das naturgemäß stumme Resultat führte ich meinem Komponisten Slawomir Olszamowski vor. Es war von Anfang an für mich klar, dass er im Stil von "Almeida" die Musik komponieren würde. Doch sein Urteil war ernüchternd:"Ohne O-Ton wird dieser Film nicht funktionieren, auch nicht mit Musik." An dieser Stelle begann "Goldgarten" ein aufwändiger Film zu werden. Wieder besuchte ich mit meiner Frau das Allgäu. Diesmal mit einem Mini-Disc-Recorder, einem Mikrofon und einem VHS-C Camcorder ausgestattet. "Goldgarten" hatte ich, wie zur Synchronisation in einem Studio, in seine einzelnen Sequenzen zerlegt und auf VHS-C überspielt.
Während ich den Ton aufnahm vollbrachte Sylvia die Arbeit einer Geräuschemacherin und wiederholte jede einzelne Aktion des Films an seinen Originalschauplätzen: Schritt für Schritt, Geräusch für Geräusch und das Mitten in der Nacht, da erst dann der Geräuschpegel einer nahe gelegenen Autobahn auf ein akzeptables Maß absank. Dabei sah sie durch den Sucher des Camcorders, um ihre Aktionen mit dem laufenden Take zu synchronisieren. Was folgte, war ein Jahr Tonschnitt, Synchronisation und Mischung, bevor Slawomir wieder einmal eine geniale Filmmusik komponierte.

© 2016 Sascha Bruhn